Das Braunschweiger
Museum für Photographie zeigt seit einigen Tagen die Ausstellung
Nowhere Near mit Fotografien und Videosequenzen von Sebastian Stumpf. Die Bilder fesseln durch ihre waghalsigen und akrobatischen Bewegungen, die der Künstler vor der Kamera ausführt. Sehenswert sind sie zudem durch die Darstellung der Beziehung zwischen Architektur und menschlichem Körper.
Die Bilder vermitteln ziemlich glaubhaft, dass sie „echt“ sind. Obwohl Zweifel zurückbleiben – Sebastian Stumpf inszeniert sich vor der Kamera tatsächlich als auf dem Kopf stehender Spaziergänger. Zu den Interventionen im (Stadt-) Raum gehören darüber hinaus Kletteraktionen in architektonische Zwischenräume, auf Bäume und an Galeriewänden entlang, Sprünge über Brüstungen, von Treppen und Schwellen auf der Straße oder von Brücken oder die Bewegung unter Garagentoren hindurch. Der Gegensatz zwischen Dokumentation und irrwitziger Momentaufnahme sorgt dabei für ein ständiges Gefühl der Irritation, das sich hin und wieder in einem leisen Kichern auflöst.
Indem Sebastian Stumpf architektonische Elemente im städtischen Raum durch Körpereinsatz in seinen Interventionen umfunktioniert, werden voneinander isolierte Räume miteinander in Beziehung gesetzt, wie beispielweise Brücke und Fluss in
Brücken (2010) durch den Sprung über die Brüstung. Die Kuratoren bezeichnen dabei die Bewegungsrichtung des Künstlers im Stadtraum als
eigensinnig und deuten Bezüge zu
Parkour an, bei dem sich die Akteure ähnlich kreativ gegenüber dem Stadtraum verhalten. Während der
Traceur sich jedoch der Großstadtarchitektur anpasst und die Architektur als Hilfsmittel nutzt, um Abkürzungen zu entdecken, erscheinen beispielsweise der Kopfstand oder der Sprung über die Brüstung als ein Akt Hybris. Der Protagonist leistet gegen die Begrenzungen des Stadtraums mit Hilfe seines Körpers Widerstand, indem er deren Grenzen ignoriert und im Gegensatz zum
Traceur offensichtlich kein Ziel verfolgt.
Die Konzentration auf das Überraschungsmoment kalkuliert einen ebenso kurzen Moment der Aufmerksamkeit auf der Seite der Betrachter ein. Obwohl in den Arbeiten auf das Flanieren oder den Flaneur nicht eindeutig Bezug genommen wird, hat der Künstler in einem Interview (2008) das Umherstreifen in der Stadt und damit den zerstreuten Blick des Flaneurs als eine Vorstellung bezeichnet, die dem Verständnis seiner Arbeit entgegenkommt.
Die einzelnen Bilder oder Videosequenzen der Serien verdichten schließlich zu Erzählungen, da jede Szene einer Intervention durch den improvisierten, aber stets ähnlichen Bewegungsablauf an die vorher gezeigte erinnert. Die Vorstellung, die Stadt lasse sich wie ein Text lesen, bietet sich damit als eine Erfahrungsgrundlage an, die Stadtbewohner und Künstler miteinander teilen. Die Bilder von der Überwindung des Stadtraums enthalten dabei die Utopie der unendlichen Möglichkeiten des Körpers, wie auch die Suche nach Natur als Gegenbild zur Architektur des Stadtraums, die ihre Bewohner überwältigt.
cgabbert am 02. Juni 11
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