#DissFreiTag: Winckelmann, Goodman
In Bezug auf den Korrekturfortschritt am Text verlief die letzte Woche wenig produktiv. Dafür habe ich auf der Theorieseite zwei Texte ergänzend gelesen. Zum einen Johann Joachim Winckelmann, „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst“ (1756), zum anderen Nelson Goodman, „Sprachen der Kunst“ (2004). Beide thematisieren das Problem der Authentizität in der künstlerischen Praxis, d. h. in der Entstehung von Kunst beziehungsweise in deren Wahrnehmung.

Winckelmann verhandelt das Problem der Erzeugung eines künstlerischen Stils, der sowohl einem klassizistischen Ideal als auch der Forderung nach Originalität entsprechen soll, was sich in einer Diskussion um die „Nachahmung antiker Vorbilder“ vs. „Nachahmung von Natur“ widerspiegelt. Zugleich gilt seine Schrift als der Beginn der Anerkennung verschiedener künstlerischer Stile und damit der Relativierung der Norm antiker Vorbilder, begründet durch die unterschiedliche kulturhistorische Einflüsse. Eine künstlerische Verarbeitung einzelner schöner natürlicher Phänomene, beschreibt Winckelmann als das Anfertigen einer Kopie, die aber nicht den Weg hin zu einem authentischen individuellen künstlerischen Stil weist. (Winckelmann 1756, S.13-14)
Wichtig erscheint mir, dass Winckelmann dem Begriff der „Nachahmung“ eine amibivalente Bedeutung verleiht. Das Kopieren von Kunst ist bei Winckelmann nur deshalb ein zulässiges künstlerisches Verfahren, weil es der künstlerischen Ausbildung und zur Entwicklung der eigenen künstlerischen Handschrift genutzt wird.

Goodman diskutiert die Authentizität von Kunstwerken dagegen vor dem Hintergrund seiner Überlegungen zum Repräsentationscharakter von Kunst. Die Frage, ob eine eine Fälschung den gleichen Repräsentationswert wie ein Original besitzt, führt Goodman zunächst zu der Unterscheidung autographer (bildende Kunst) und allographer Kunst (Musik, Literatur), d. h. Kunst, deren Authentizität aufgrund von Text oder Partitur in jeder Aufführung erkannt wird. Werke der bildenden Kunst, die durch Techniken der Vervielfältigung entstehen, wie Druckgrafiken oder Bronzestatuetten, nehmen in der Anerkennung von Authentizität nach Goodman eine Zwischenstellung ein. Druckplatte oder Form nehmen eine vergleichbare Rolle wie die Partitur des Musikstücks ein, allerdings eingeschränkt auf eine bestimmte historische Situation. Zudem muss die Echtheit der Druckplatte (oder Gußform) bestätigt werden, die Begründung der Echtheit eines autographen Kunstwerks verschiebt sich also auf ein bestimmtes Stadium im Herstellungsprozeß. Man könnte auch sagen: es gibt zwei Kunstwerke: das Modell und den Abguss. Goodman findet hier in der Skizze einen gemeinsamen Nenner, den er als „Notation“ des Kunstwerks untersucht. Für die Untersuchung der Forschungsgeschichte italienischer Bronzestatuetten der Renaissance stellen Goodmans Überlegungen zur Zuschreibung der Echtheit an Kunstwerke eine bedeutsame Theorie dar. Goodmann erfasste den Doppelcharakter der Statuetten als autograph/allograph, doch sein semiotisches Modell der Erzeugung von Authentizität trennt meinem Eindruck nach zu wenig zwischen Produzent und Rezipient. Goodmans Konzentration auf den Repräsentationscharakter von Kunst schließt von vorneherein die Möglichkeit aus, dass Kunstbetrachtung gleichzeitig performativ sein kann (also ähnlich wie ein Musikstück – ich denke da v. a. an Werke der Fluxusbewegung oder an Erwin Wurms „One Minute Sculptures“). In der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts gibt es diese Möglichkeit, sie äußert sich manchmal sprachlich in einem „Nachschaffen“ des Kunstwerks durch Beschreibung. (vgl. Joseph Imorde, Michelangelo deutsch!, 2009, S. 179ff.)